© Rolf
Gössner
Peinliche
Ausforschung der Privatsphäre
Scheinehe-Ermittlungen
gegen binationale Ehepaare
Wie war das Wetter am Hochzeitstag?
Welche Sitzmöbel haben Sie im Wohnzimmer? Was unternehmen Sie am liebsten mit
Ihren Freunden? Wie oft besuchen Sie eine religiöse Einrichtung? Welche und wo?
Ihr Ehegatte? Haben Sie einen Kosenamen für Ihren Ehegatten? Und umgekehrt… Wann
waren Sie und Ihr Ehegatte zuletzt gemeinsam aus? Wohin? Was gab es gestern bei
Ihnen zu essen? Wo war Ihr Ehegatte gestern? Wo waren Sie gestern? Haben Sie
für heute noch gemeinsame Pläne? Welche? Was ist Ihr Lieblingsessen und das
Ihres Ehegatten? Welche Filme gucken Sie am liebsten? Ihr Ehegatte? Liest Ihr Ehegatte
gerne? Wenn ja, was? Tragen Sie ein Foto Ihres Ehegatten bei sich? Hat Ihr
Ehegatte ein Foto von Ihnen bei sich?
Katalog mit intimen Fragen
Das sind nur einige Fragen aus
einem 115 Fragen umfassenden Katalog, den Ausländerbehörden unter gewissen
Voraussetzungen den Partnern binationaler Ehen in getrennten Befragungsrunden
zur Beantwortung vorlegen. Mit der getrennten Befragung will die Ausländerbehörde
oder das Visum erteilende deutsche Konsulat im Ausland Widersprüche und
Wissenslücken über den jeweils anderen Ehegatten aufdecken, die auf eine
vermeintliche „Scheinehe“ hindeuten könnten. Denn kommt die Behörde zu dem
Schluss, dass trotz formal wirksam geschlossener Ehe keine dauerhafte eheliche
Lebensgemeinschaft vorliege, dann ist ein Ehegattennachzug aus einem
Nicht-EU-Staat sowie eine ehebezogene Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet
ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. §§ 27a, 28, 86, 91 AufenthG).
Der Fragebogen enthält Fragen zum
Kennenlernen und täglichen Miteinander, zu Rollenverteilung und persönlichen
Vorlieben, zu Wohnung, Arbeit, Krankheiten, Freizeit, Familie und Freunden,
Religionsausübung und weiteren persönlichen Themen, die bis hinein ins Schlafzimmer
der Eheleute reichen. Auch Fragen, die frisch Vermählte und selbst langjährige Ehepartner
nicht spontan beantworten könnten. Bei Zweifeln wird ein Ehegattennachzug oder
eine ehebezogene Aufenthaltserlaubnis aufgrund behördlicher Interpretation
versagt, die viele der Betroffenen für willkürlich halten. Verdächtig erscheinen
vor allem solche binationalen Paare, (….) die keine für beide verständliche
Sprache sprechen, bei denen der Altersunterschied groß ist, die sich erst vor
Kurzem kennen gelernt haben, die die Gewohnheiten und Vorlieben des jeweils
anderen nicht kennen, ( ) oder
wenn für das Eingehen der Ehe ein Geldbetrag an den Ehegatten gezahlt wurde (abgesehen
von Mitgift; vgl. Allg. Verwaltungsvorschrift zum AufenthG v. 26.10.2009, Nr.
27.1a.1.1.7). Bei der Befragung und Beurteilung sind die Intimsphäre zu wahren
und die Vielgestaltigkeit der ehelichen Lebensführung zu berücksichtigen.
Rechtswidrig: verdachtsunabhängige „Scheinehe“-Ermittlung
Ende Mai 2012 hat das
Verwaltungsgericht Bremen im Fall eines deutsch-türkischen Ehepaars per
Eilentscheidung die Praxis verdachtsunabhängiger „Scheinehe“-Ermittlung mithilfe
eines solchen Fragenkatalogs für unzulässig erklärt, weil sie nicht durch
Gesetz oder wirksame Einwilligung der Befragten gedeckt sei (Beschluss vom 23.5.12;
Az. 4 V 320/12). Deshalb müssen Teile der Ausländerakte gesperrt, die
Befragungsdaten gelöscht werden. Die Ausländerbehörde hätte die Daten nicht
erheben dürfen, weil sie dafür einen begründeten Anfangsverdacht gegen das Paar
hätte haben müssen (vgl.Art. 16 Abs. 4 RL EG 2003/86/EG) - und zwar schon vor der
Befragung. Davon könne nach Feststellung des Gerichts jedoch keine Rede sein -
im Gegenteil: Es habe „deutliche Anhaltspunkte für das tatsächliche Bestehen
einer ehelichen Lebensgemeinschaft“ gegeben – trotz einer Zweitwohnung der
Ehefrau in einer anderen Stadt.
Das Ausländeramt hatte die beiden
Kläger verdächtigt, eine Scheinehe zu führen. Grund: Das Amt will Widersprüche
in ihren Antworten auf die Fragen des als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“
eingestuften Katalogs entdeckt haben - Fragen, die das Amt erst gar nicht hätte
stellen dürfen. Statt einer Aufenthaltserlaubnis für den türkischen Ehemann
bekamen beide Ehegatten ein Ermittlungsverfahren, ihre Wohnung wurde durchsucht.
Daraufhin erhoben die beiden Klage, weil sie, wie ihr Anwalt Jan Sürig
vorträgt, ihr Grundrecht auf Privatsphäre und „informationelle
Selbstbestimmung“ verletzt sahen.
Mit diesem Fall ist der Skandal offenbar
geworden, dass im Bundesland Bremen – wie auch in anderen Bundesländern - ein
solch inquisitorisch anmutender Fragenkatalog offenbar auch zur verdachtslosen
Ausforschung in Gebrauch ist. Solche Praktiken sind unverhältnismäßige Angriffe
auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Mit den Antworten auf die teils
intimen Fragen zum Privatleben entstehen regelrechte Persönlichkeitsprofile,
die zu einer tief greifenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten und des
Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung führen. Außerdem kann es bei
gewissen Widersprüchlichkeiten in den Antworten der Eheleute, wie im
vorliegenden Fall, zu weiteren gravierenden Folgen kommen, so etwa zu strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren und polizeilichen Wohnungsdurchsuchungen.
Obwohl die Beantwortung prinzipiell
freiwillig ist, kann von Freiwilligkeit nicht die Rede sein, wenn die unter
massivem Druck stehenden, mitwirkungspflichtigen Betroffenen den Eindruck gewinnen
müssen, sie hätten keine andere Wahl, als die Fragen zu beantworten, um die
begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Denn werden die Fragen nicht
beantwortet, kann dies als Verdachtsmoment gewertet werden und zur Ablehnung
des Aufenthaltstitels führen. Auch das Verwaltungsgericht Bremen stellte die erforderliche
Freiwilligkeit im vorliegenden Fall in Frage.
Binationale Ehen unter Generalverdacht? Bremen ändert Verfahren
Der „Verband binationaler Familien
und Partnerschaften“ stellt fest, dass der Bremer Fall keine Einzelerscheinung
sei, sondern gängige bundesdeutsche Praxis, mit der fast routinemäßig eine
Scheinehe vermutet werde. Deshalb müssen Betroffene oft jahrelang um die
Anerkennung ihrer Ehen kämpfen. „Unsere Erfahrung ist, dass auch ganz
unverdächtige Menschen ausgeforscht werden“, weshalb der Verband sich dagegen
wehrt, „dass Paare praktisch unter Generalverdacht gestellt werden, die nichts
weiter verbrochen haben, als unterschiedliche Nationalitäten zu haben“ (Der
Tagesspiegel 10.06.2012) und die, wie es eine betroffene Ärztin in Berlin ausdrückt,
„nur in Frieden und Harmonie zusammenleben“ wollen. Wie passt das in eine
globalisierte Welt?
Der Bremer Innensenator Ulrich
Mäurer (SPD) hat gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts keine Rechtsmittel
eingelegt, weil er diesen offenbar für gerechtfertigt hält. Der türkische Ehemann
hat mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis. Inzwischen wurden auch Fragebogen
und Befragungspraxis geändert: Einzelne von der Bremer Datenschutzbeauftragten
monierte Fragen wurden gestrichen, weil sie nicht erforderlich waren oder die Intimsphäre
der Befragten verletzten. So etwa Frage Nr. 32: „Wer von Ihnen schläft auf der
linken Seite des Ehebettes, wenn man davor steht?“ sowie Fragen zur Religionsausübung
und zu Krankheiten. Mit Dienstanweisung vom 21.06.2012 hat die Innenbehörde nun
geregelt, dass Ermittlungen nur dann erfolgen dürfen, „wenn im konkreten
Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für das Bestehen einer Scheinehe“ vorliegen.
Dann dürfen die Fragebögen „nicht schematisch“ eingesetzt werden, sondern nur solche
Fragen dürfen „einzelfallbezogen“ gestellt werden, „die zur Aufklärung des
Sachverhalts erforderlich sind“. Ein Ende der peinlichen Ausforschung binationaler
Ehen sieht allerdings anders aus.
© Gössner, Rolf, Dr. jur., Rechtsanwalt,
Publizist und parlamentarischer Berater. Vizepräsident der Internationalen Liga
für Menschenrechte (Berlin; www.ilmr.de).
Seit 2007 stellv. Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen
sowie Mitglied der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft.
Mitherausgeber der Zweiwochenschrift "Ossietzky", Mitglied der Jury
zur Verleihung des Negativpreises „BigBrotherAward“ sowie der
Carl-von-Ossietzky-Medaille (Liga). Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren
des Bundestages und von Landtagen. Auszeichnung mit dem Kölner Karlspreis für
engagierte Literatur und Publizistik 2012 und dem Bremer Kultur- und
Friedenspreis 2013. Autor zahlreicher Sachbücher zu Bürger- und
Menschenrechtsthemen, zuletzt: "Menschenrechte in Zeiten des Terrors.
Kollateralschäden an der Heimatfront“, Hamburg 2007. Geheime Informanten.
V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates, München 2003;
Akt. Neuauflage als e-book 2012 bei Knaur-Verlag, München. Direktlink: http://amzn.to/HQcOU2. Internet: www.rolf-goessner.de